70er Jahre

Politische Liedermacher in Westdeutschland 1970 und danach

Publikum auf dem Gelände der Burg Waldeck oberhalb des Baybachtals während des Burg Waldeck Festivals 1968
Publikum auf dem Gelände der Burg Waldeck oberhalb des Baybachtals während des Burg Waldeck Festivals 1968 - Mitte Juni 1968, Foto: Mirdsson2

Zu Beginn der 70er Jahre sind zahlreiche Folk- und Liedermacherfestivals bereits fest etabliert. Immer noch steigt ihre Zahl rapide an. Die neuen Künstler haben großes Medien- und nicht zuletzt kommerzielles Interesse erregt. Manche der Waldecker Liedermacher sind bald „Stars“ mit festen Plattenverträgen (Degenhardt, Mey). Die Waldeck und die Festivals in ihrer Folge lösen eine ungeheure Kreativitätswelle aus. Hunderte von Künstlern beginnen, selber Lieder zu schreiben und damit aufzutreten. Der Liedermacherboom wird nicht nur privat hervorgebracht. Auch große und kleine Plattenfirmen erkennen den neuen Markt und fördern zahlreiche Liedermacher; kaum eine Firma, die nicht ihren „Hausheiligen“ protegiert. Dabei existieren noch keinerlei Qualitätsmaßstäbe, gehandelt wird, was Geld verspricht:

„[…] eine Frage muss doch erlaubt sein: Warum wieder Quantität statt Qualität? Warum nach den Flops mit Rock- und Mod-Gruppen jetzt Liedermacher & Verwandtes aus der Retorte? […] Merke: Liedemacher sind immer gut. Man muss das nur häufig genug sagen. […] Gezielte geschäftliche Manipulationen sind offensichtlich ein neuer Faktor in der Geschichte des Liedermacher-Machens.“

Politische Kunst – Politischer Kampf

Die 70er Jahre sind eine politisch hochbewegte Zeit. Die aus den 60er Jahren bereits politisch geprägte und aktive Liedszene geht in den Auseinandersetzungen der neuen Dekade voll auf: Notstandsgesetze, Berufsverbote, Arbeitslosigkeit, Vietnamkrieg, Atomrüstung, Atomkraftwerke rufen große Gruppen zum Protest auf. Es formieren sich große Bewegungen (Friedensbewegung, Anti-Atom-Bewegung) und auf regionaler Ebene unzählige Bürgerinitiativen. Auch kommt es in der bewegten Dekade immer wieder zu großen Streiks (Metallarbeiterstreik 1970, Chemiearbeiterstreik 1971, Druckerstreik 1976 usw. ). Ein Teil der etablierten Szene der Waldeck-Ära nimmt mit klaren politischen Stellungnahmen an den politischen Auseinandersetzungen der Zeit teil. Dieter Süverkrüp und Franz-Josef Degenhardt engagieren sich in der DKP. Ersterer meldet sich intensiv in der Streikbewegung zu Wort und singt regelmäßig in und vor Fabriken. Degenhardt konzentriert sich neben ähnlichen Aktionen auf gewerkschaftliche Arbeit.

Walter Mossmann 1974
Marckolsheim / Whyl, 1974, Walter Mossmann

Walter Mossmann, der nach dem Ende der Waldeck-Festivals zunächst nicht mehr aufgetreten war, profiliert sich ab 1974 mit einem neuen Typus politischer Lieder. Besonders im Zuge der Auseinandersetzungen um den Bau des Atomkraftwerks in Whyl verfaßt er eine Reihe von Liedern, die sich durch „einen öffentlichen Gebrauchswert auszeichen sollen“ . Die so entstehenden „Flugblattlieder“ gehören zu den wenigen Liedern der Liedermacherszene, die unabhängig von ihrem Autor bekannt sind (etwa: „KKW-Nein-Rag“, „Der neudeutsche Zwiefache“, „Ballade von Seveso“ ).

Die schon auf der Waldeck postulierte politische Liedästhetik wird auch vom Heer des Nachwuchses mitgetragen: nicht nur die bekannten Waldeck-Liedermacher nehmen an politischen Veranstaltungen teil. Liedermacher sind Dauergäste bei Demonstrationen, Streiks, Bürgerinitiativen, Diskussionsveranstaltungen etc. Viele neue Namen etablieren sich so direkt im politischen Tagesgeschehen (Dietrich Kittner, das Liedkabarett Floh de Cologne, Ekkes Frank, Schlauch , Lerryn , Reinhard Meurer, Wolfgang Hering, Anni Becker, u.v.a.).

Die schon auf der Waldeck von den radikalisierten Sängern ausgeschlossene Szene bezieht distanziert Stellung. Den Protagonisten (Hüsch, Stählin, Mey u.a.) kommt es darauf an, politisch unabhängig zu bleiben, ohne ihren (auch) politischen Anspruch aufzugeben. Während Mey bereits über einen Vertrag mit dem Plattengiganten Intercord internationalen Ruhm anstrebt, widmet sich Hüsch weiter dem Kabarett und arbeitet als Sprecher („Väter der Klamotte“, „Dick und Doof“). Christof Stählin gründet einen eigenen Verlag („Nomen & Omen“), um völlig unabhängig von fremden kommerziellen Interessen arbeiten zu können.

Neben der bekannten Szene gibt es eine gewaltige Welle an Nachwuchs. Eine große Zahl an neuen Liedermachern lässt sich durch die großen Folklore- und Songfestivals der Zeit anregen und trägt sie gleichzeitig mit.

Insgesamt herrscht in den 70ern eine intensive Diskussion der Künstler untereinander um Aufgabe und politische Gesinnung des Liedermachers. Gleichzeitig zur Präsenz der Liedermacher im politischen „Kampf“ ziehen sich viele aus den Auseinandersetzungen auf „private Inseln“ zurück. Doch hier wie dort, im „eher privaten“ wie im „eher politischen“ Spektrum finden die Liedermacher das ganze Jahrzehnt hindurch ihr Publikum.

Die politischen Liedermacher der 70er Jahren beginnen, mit neuen Kinderliedern den Gedanken politischer Aufklärung und Agitation  schon sehr früh anzusetzen. Das erste und wohl wichtigste Kinderlied ist dabei Süverkrüps „Baggerführer Willibald“ . Das Lied („Gegen privates Hauseigentum“: Bauarbeiter „enteignen“ einen „Boss“, um selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten) erfreut sich großer Beliebtheit in Schulen und Kindergärten und wird daher rasch ein Politikum. 1975 wird im niedersächsischen und im nordrhein- westfälischen Landtag von konservativen Politikern der Antrag auf Verbot gestellt .

An den Versuch von Süverkrüp knüpft ab Mitte der 70er das Duo Christiane (Knauf) und Fredrik (Vahle) an. Ihre erfolgreiche Platte „Die Rübe“ enthält ausnahmslos Lieder politischer Konzeption. Es geht ihnen darum, „Lieder zu singen, die ihnen [den Kindern] Spaß machen und in denen sie Personen finden, mit denen sie sich identifizieren können. Die ihnen auf lustige und einprägsame Art zeigen, wie man Probleme gemeinsam löst. […] Die Kinder sollen Vertrauen zu ihren eigenen Fähigkeiten fassen:“

Dieser Ansatz erfährt in den progressiven Berliner Kindertheatern „Rote Grütze“ und „Grips“ eine weitere Steigerung und Fortentwicklung. Im gleichen Sinne entstehen in den 60ern und 70ern zahlreiche Weihnachtsliedbearbeitungen, die zumeist Konsumrausch und sinnentleerte  Festgemütlichkeit kritisieren.

Randerscheinungen

Ein (links-) politischer Liedermacher ist in den 70er Jahren für viele „ein tautologischer Doppelmoppel“ (Biermann) . Die SPD und die DKP beginnen, sich zu Werbe- und Selbstdarstellungszwecken der Liedermacher zu bedienen . 1978 entdeckt man auch in den Reihen der CDU die Wirksamkeit von Liedemachern und beginnt, Gerd Knesel als politischen Widerpart aufzubauen. Die Texte schreibt Hubertus Scheurer.

Knesel vertont sie „liedermachertypisch“ mit der Gitarre, tritt auf mehreren CDU-Wahlveranstaltungen auf und produziert eine eigene Platte („Das geht uns alle an“). Die Texte sind voller Spitzen gegen linke Liedermacher und linke Politik. An Knesel entzündet sich eine heftige Diskussion in den Reihen der Szene. Die Provokation ist gelungen, die Auseinandersetzung verpufft. Es bleibt beim Klarmachen von Standpunkten. Während die einen heftig gegen Knesel agitieren (etwa Hans Scheibner) und andere raten, ihn einfach zu ignorieren, spotten Knesel und Scheurer wirksam zurück. Knesel bekommt mehrere Fernsehauftritte, auf denen er, anders als seine linken Kollegen, ungehindert seinen Standpunkt propagieren darf:

„Leute lasst Euch nicht verschaukeln,
Schützt unsere Industrie
Und die jungen Sozialisten
Legt sie übers Knie“

Obwohl die Linke dem rechten Liedersänger kaum etwas entgegenzusetzen hat, als dass er „rechts“ sei, löst sich das Problem von selbst. Knesel verschwindet Anfang der 80er völlig von der Bildfläche.

Ausschnitt eines längeren Textes von Philipp Schmidt-Rhaesa , Teil seiner Examensarbeit zum Thema „Fort- und Weiterbildung bei deutschen Liedermachern“, verfasst 1996.  Auch wenn manches bruchstückhaft bleibt, so wird z.B. nur über die westdeutsche Liedermacherszene geschrieben, ist es dennoch ein gelungener Überblick über die Liedermacher-Szene in der BRD von 1945 bis in die 1990er Jahre.

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