Kreisler

Georg Kreisler

Georg Kreisler
Georg Kreisler, 2009, Foto: Marcel601, Gemeinfrei (Wikpedia)

Die Mutter aller Niedermacher …

… hieß Georg Kreisler. Winfried Dulisch hört alte und neue Platten mit Kreisler-Songs.

Konstantin Wecker erinnert sich: „Kreislerplattenhören war in den 1970ern ein Muss auf jeder Party. Meine frühen Werke waren sehr Kreisler-epigonal. Mit ‚Genug ist nicht genug‘ habe ich 1977 meinen eigenen Stil gefunden. Aber es kreislert beim Weckern bis heute. Wer im deutschsprachigen Raum Lieder schreibt und sie am Klavier singt, kommt an Kreisler nicht vorbei. Und wenn ich ‚Das Lächeln meiner Kanzlerin‘ spiele, muss ich an ihn denken. Ohne Georg Kreisler wäre dieses Lied nie entstanden. Ich widme es ihm bei jedem meiner Auftritte.“

Als Georg Kreisler 2004 den Bayerischen Kabarettpreis bekam, hielt Konstantin Wecker die Laudatio. „Georg Kreisler sagte mir anschließend, dass ihm meine Rede sehr gut gefallen hat.“ Aber viel wichtiger war für Konstantin Wecker: „Nach dieser Preis-Verleihung hat der Bayerische Rundfunk endlich das 25 Jahre alte Kreisler-Lied “Der Staatsbeamte“ in voller Länge gespielt – mit sämtlichen bayernkritischen Passagen.“

Aber nicht nur die Bayern müssen Kritik einstecken. Die Pfaffen. Die Lehrer. Die Politiker sowieso. Nicht einmal die Musikschaffenden sind geschützt vor Kritik. – Doch wer kritisiert die Musikkritiker?

Eine satirische Antwort lieferte der 1922 in Wien geborene Georg Kreisler: „Es gehört zu meinen Pflichten / Schönes zu vernichten / Als Musikkritiker. / Sollt‘ ich etwas Schönes finden / Muss ich’s unterbinden / Als Musikkritiker!” Und er entmündigte sogar seine eigenen Fans: “Schreit auch das Publikum ‘Hurra!’ / Das nützt euch nichts, denn ich bin da.”

Kreislers Arbeit war kaum fassbar für die Kritiker. Er hatte sein Studium als Mucker bei Tanzvergnügungen, Hochzeiten, Beerdigungen und anderen Höhepunkten im Leben von wildfremden Leuten finanziert. Er spielte – quasi als akustischer Stuntman – das Klavier im Tonstudio, während Charlie Chaplin vor einer Filmkamera auf die Tasten hämmerte und Grimassen zog.

Solche Hollywood-Studiojobs verdankte Georg Kreisler seinem ebenfalls in die USA geflohenen Cousin Walter Reisch, der später das Drehbuch zu dem Monroe-Melodram „Niagara“ schrieb. In diesem Exil kümmerte sich außerdem der „“entartete“ Zwölfton-Komponist Arnold Schoenberg um den Nachwuchs-Kollegen aus Wien.

1941 heiratete Kreisler die Tochter von Friedrich Hollaender, der einer Marlene Dietrich „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und andere Hits auf den Leib geschrieben hatte. Dabei hätte der Singer-Songwriter eigentlich gar nicht in die Musik-Highsociety einzuheiraten brauchen. Er war doch bereits verwandt mit dem legendären Geiger Fritz Kreisler (1875-1962).

1943 wurde Georg Kreisler US-Bürger. Die Army zog ihn ein und kommandierte ihn ab nach England. Er musizierte für Soldaten, die am 6. Juni 1944 in der Normandie landeten. Später verhörte er als Dolmetscher zum Beispiel Julius Streicher, den Herausgeber des antisemitischen Hetzmagazins „Der Stürmer“.

1955 ging Kreisler zurück nach Wien und sang in der Marietta-Bar fröhliche Lieder wie „Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist da! Ge’ma Tauben vergiften im Park.“ Für die betuliche Plattenfirma Amadeo und bei dem auf kritische Geister spezialisierten Label von Otto Preiser nahm er LPs auf. Kreislers „Nichtarische Arien“, „Lieder zum Fürchten“ und „Everblacks“ ermöglichten Preiser, auch einige weniger bekannten Wienerlieder-Macher und Kabarettisten zu produzieren.

„Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist da – gemma Tauben vergiften im Park“ entpuppte sich dann als Weckruf für die Kreisler-Fans. Der Österreichische Rundfunk setzte alle seine Songs auf den Index. Nachdem dieser Moralmief verflogen war, kam der eigentliche Skandal an die Oberfläche: „Poisening Pigeons In The Park“.

Tom Lehrer, ein Harvard-Mathematikdozent und Singer-Songwriter, hatte diese Anleitung zum Tierquälen 1953 veröffentlicht. Kreisler kann das Lied in den USA gehört und nach Wien mitgenommen haben. Lehrer war über das Plagiat „not amused“, doch er verzichtete auf einen transatlantischen Urheber-Streit. Kreisler hielt es aber für möglich, „dass wir unabhängig voneinander auf dieselbe Idee gekommen waren“. Es wurde nie geklärt, wer zuerst da war – „Pigeon“ oder „Taube“?

Noch ein Skandal. 1961 sang Kreiser mit seiner damaligen Frau Topsy Küppers im NDR-Hörfunk: „Das gibt es nur bei uns in Gelsenkirchen“. Heute vermuten die Kreisler-Exegeten, das Ehepaar habe sich rächen wollen, weil Frau Küppers beim Stadttheater Gelsenkirchen raugeflogen war. Damals konnte ein Satire-Künstler noch Staub aufwirbeln mit Statements wie „Die Bildung kann man gar nicht übertreiben / Doch das Fernsehen hilft uns sehr, Film und Funk sogar noch mehr / Gute Bücher haben wir, nur das Lesen und das Schreiben / fällt uns noch immer recht schwer / Das gibt es nur bei uns in …“

Der Oberstadtdirektor von GE beschwerte sich beim NDR-Intendanten. Dieser schrieb zurück, dass es „dem verantwortlichen Hauptabteilungsleiter Unterhaltung ferngelegen hat, die Bürger Ihrer Stadt zu diskreditieren.“

Heute rühmt sich die Perle des Kohlenpotts, ähnlich wie das goldene Wien mit einem Kreisler-Chanson gewürdigt worden zu sein. Und die Menschen in Gelsenkirchen leiden viel mehr darunter, dass Schalke 04 jede Bundesliga-Saison nur als Meister der Herzen beendet.

Ausgerechnet Dinslaken, ein Städtchen in der Nähe von GE, ist die Heimat von Kip Records. Kip-Chef Jürgen Keiser: „Ich bin Musikverleger für alles Schräge.“ Damit ist er genau der richtige Betreuer für das kabarettistische Spätwerk des Pianisten und Sängers.

Jürgen Keiser traf Georg Kreisler 1993. „Andere Labels wollten mit ihm keine Platten mehr produzieren. Den einen war er zu retro – eine höfliche Umschreibung für altmodisch. Den anderen war dieser Mann, der damals 70 Jahre alt war, immer noch zu avantgardistisch – also unbequem und schwer zu vermarkten.“

Kip Records veröffentlichte sogar den „Aufstand der Schmetterlinge“, eine satirische Oper von Georg Kreisler . Als Label-Boss vertritt Jürgen Keiser nicht nur die kommerziellen und künstlerischen Belange seines prominentesten Stars – sondern auch die moralischen und kulturpolitischen Interessen.
Zum Beispiel: Wenn Journalisten nach PR-Fotos von Georg Kreisler fragen, verschicken Kip Records auch die Kopie seines Reisepasses von 1938. Es war das Jahr, als Österreich „heim ins Reich“ geführt worden war. Das neben sein Passbild gestempelte „J“ bedeutet: Georg Kreisler ist Jude – die unverhohlene Aufforderung, das Großdeutsche Reich so schnell wie möglich zu verlassen.

Dieses „J“ bewirkte, dass Kreisler nach seiner Flucht kein Österreicher mehr war. Seine Landsleute, die sich 1938 mit den Nazis arrangiert hatten, bekamen 1945 ihre österreichische Staatsbürgerschaft aber automatisch zurück. Er und viele andere Flüchtlinge waren unerwünschte Rückkehrer. Solche Arbeits- und Lebensbedingungen lassen einen Musiker endgültig zum politisch unkorrekten Polit-Barden werden.

Das Münchner Vokalsolisten-Ensemble „Die Singphoniker“ hinterfragt neben zeitlos gültigen politischen Aussagen auch den sado-masochistischen Liebeslied-Autoren. Die Singphoniker hatten in der Vergangenheit schon immer ein großes Repertoire-Spektrum ausgekostet – von Gregorianik bis Simon & Gerfunkel. 2015 interpretierten die sechs Herren auf ihrem „Kreisler“-Album im Close-Harmony-Tonfall der Comedian Harmonists 16 Chansons aus der Feder des selbsternannten Kritikers aller Musikkritiker.

Und man kann hören, welche Schmerzen es den Singphonikern bereitet, wenn sie den richtigen – pardon, den falschen – Ton suchen für diese Textzeile aus Kreislers “Musikritiker”-Beschimpfung: “An Musik ist vielleicht etwas dran! / Nur was dran ist, will mir nicht in den Sinn / Weil ich uuuuuhhhnn-musikalisch bin.”

Den meisten Genuss bereitet die Kreisler-CD der Singphoniker, wenn sie als Pendant zu den Werken eines anderen Wiener Songwriters gehört wird: „Schubert – Sämtliche Ensembles für Männerstimmen“. Die Singphoniker haben ein Live-Programm erarbeitet, in welchem sie Schubert-Lieder mit Kreisler konfrontieren. So verliert eine Epoche, in der „Die schöne Müllerin“ und die „Winterreise“ geschrieben wurde, jede falsche Romantik.

“Franz Schubert und Georg Kreisler lebten in einer gleichen Art von Eiszeit“, vergleicht Christian Schmidt, Bass und Programmchef der Singphoniker, die zwei Liedautoren. “Schubert litt unter dem biedermeierlichen Überwachungsstaat des Fürsten Metternich. Die mit Bitterstoffen angereicherten Lieder von Schubert und Kreisler kommentieren sich gegenseitig. Und anders als bei den satirischen Texten von Kurt Tucholsky muss ein Hörer den zeitpolitischen Hintergrund nicht kennen, um das Gesungene verstehen zu können.“

Nachdem er als kritischer Geist von jüngeren Kabarettisten und Liedermachern – zum Beispiel von Konstantin Wecker – endgültig links überholt worden war, schrieb Georg Kreisler ohne tagespolitsche Rücksichten seine konzertanten Klavierwerke. Im Sommer 2015 wurden diese E-Musik-Schöpfungen veröffentlicht auf Wergo, dem Neutöner-Label vom ehrwürdigen Mainzer Schott Verlag.

Vor allem seine „Fünf Bagatellen für Klavier“ bestätigen jene Ungerechtigkeit, die Georg Kreisler in seinem “Musikkritiker” angeprangert hatte: “Mich kann auch kein Künstler überlisten / Da ich ja nicht verstehe, was er tut / Drum sag‘ ich von jedem Komponisten: / Erst nachdem er tot ist, ist er gut!”.
Georg Kreisler starb am 22. November 2011 in Salzburg.

Winfried Dulisch

Hör-Tipps:

  • Georg Kreisler: Everblacks (Live 1971)  Do-CD: PR90306 / Naxos
  • Georg Kreisler – Der Aufstand der Schmetterlinge (Oper) – Doppel-CD, kip 2000 / NRW
  • Die Singphoniker: Georg Kreisler – Oehms OC 1807 / Naxos
  • Georg Kreisler – Das Klavierwerk
    Sherri Jones, Klavier; Olivia Vermeulen, Mezzosopran; Andreas Reiner, Violine
    Do-CD: WER 7317 2 / Note 1

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1 Kommentar zu Kreisler

  1. Noch ein interessanter Aspekt. Kreisler über das Singen im Alter. Dem kann ich mich nur mit Nachdruck anschließen: „Ich setze mich nicht mehr ans Klavier und singe meine Lieder, aber nicht weil ich das nicht könnte, sondern weil ich es falsch fände. Es passt einfach nicht zu einem alten Mann wie mir. Ich habe in meinen jüngeren Jahren öfter erlebt, wie alte Männer ihre Lieder noch selbst gesungen haben, und es hat mir jedes Mal missfallen. Bei einem Lied kommt es ja auch auf den Text an, und worüber soll ein alter Mann singen? Über die Liebe? Lächerlich! Über seine Träume? Wen interessiert das? Über Politik? Er hat doch keine Zukunft mehr. Über den Tod? Peinlich!“

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