Erich Kästners Fabian: Reaktionen der Leser von 1931/32

Pressestimmen zu Erich Kästners Roman „Fabian“, kurz bevor Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde und die faschistische Barbarei Deutschland und die Welt ins Unglück stürzte. (in „Die Literatur“, Vierunddreißigster Jahrgang, Oktober 1931 – September 1932)

  • „Jugend im Übergang: Dem Pessimismus, dem diese Menschen heutzutage als ihrer natürlichen Lebenslust verfallen, kommt eins zur Hilfe: ihr Humor. Sie haben sich angewöhnt über die Unvernunft der Verhältnisse und die Verkehrtheit des Lebens zu lächeln, ohne dass sie aufgehört haben, darunter zu leiden. Dieser Lebensstimmung also gibt Erich Kästner Ausdruck und seine Gleichartigen und Gleichaltrigen, von denen es sehr viele gibt, werden kaum ein Buch finden, das sie mit solcher Zustimmung auf jeder Seite lesen.“ („Jugend im Übergang“, von Fritz Walter, B. B. S 499)
  • „Lebensangst unter einem Gewitterhimmel, das ist die Stimmung, die aus den Seiten dieses kurzweiligen Romans herausschlägt. Lebensangst, auch wenn sie sich in Galgenhumor entlädt. Es ist nicht die Stimmung eines Eingängers sondern einer gewaltigen Marschkolonne, einer ganzen Generation. Dass er ihrer Angst und Not das Wort findet ist, Erich Kästners Verdienst. Dass sein Roman künftig einmal den Wert eines Dokuments haben wird, eines Dokuments des Jahres 1931, ist Erich Kästners Lohn. (Erich Kästners Roman „Fabian“, Von Monty Jacobs Vossische Zeitung, Unt Bl. S. 246)
  • „Kästner ist einer der wenigen Zeitgenossen die ein Buch schreiben können das man in einem Zuge herunterzulesen vermag. Man soll das nicht unterschätzen. Diese Bemerkung ist nicht nur als höchstes Lob gemeint, sondern sie stellt tatsächlich allerhöchstes Lob dar. Sie gilt dem ausgezeichneten Stilisten ebenso, wie dem mit allen Hunden gehetzten Erzähler, dem man nach dieser Leistung beruhigt auf die Schulter klopfen und zur Variierung seines Ausspruchs Autorisierung erteilen kann: „Ich habe eine kleine Romanfabrik“. Hier sitzt alles wie angegossen, ist schön solide und dauerhaft gearbeitet und vor allem ist es nicht nur ehrlich gemeint, sondern auch ehrlich und anständig geschrieben“ („Erich Kästner kämpft für die Moral“, von Hellmut Schlien, Mannheimer Tageblatt, 280)

Reaktionen von Lesern auf Erich Kästners Roman: Fabian, erschienen im „Bücherwurm“ 1932:

„In dieser liebenswerten und graziösen Erzählung lässt der Dichter mitten im irrsinnigen Berlin von heute einen Menschen herumlaufen, einen weder sehr starken noch sehr geschickten, aber eben einen Menschen, einen der noch nicht irrsinnig ist, der ein Herz und einen Verstand hat. Ein klein wenig zwar ist auch er schon geknickt und entstellt, aber überall, wohin er gerät, schimmert Menschlichkeit auf, glänzt mahnende Erinnerung an etwas, was es vor kurzem noch überall gab und was jetzt unter einer Million bloß noch Einer besitzt. Sein Bildnis und die vielen leicht und zart hingezeichneten Berliner Bilder sind in reiner Künstlerfreude geschaffen, nicht ganz ohne gute Absicht, nicht ganz ohne Moral, aber nicht von ihr verzerrt. Das Zeitgemäße konnte nicht zeitloser gesagt werden als hier, es ist von Hölle und Irrenhaus die Rede, aber es klingt wie Musik, es ist durch den Filter der Kunst gegangen und voll Anmut geworden.“ (Hermann Hesse)

Für Fabian

  • Ich habe Ihr Buch gelesen: Das ist der Grund, dass ich Ihnen schreibe. Soll ich sagen, es ist gut, es ist sehr gut, es ist noch besser? Nein, obwohl es stimmt, das will ich nicht. Ich will nicht dem Buch ein Kompliment machen, sondern Ihnen. Denn das Gute an dem Buch ist Ihre Gesinnung. Bücher schreiben leider viel zu viele, die nichts zu sagen haben, alle die Subalternbeamten der Schreibmaschine, die glauben, die Welt sei so, wie sie sich in ihren verdrängten Wunschträumen darstellt. Soll ich nun sagen, so nur, so ist die Welt, wie Sie sie geschildert haben? Ja und tausendmal ja, sie ist es. Mögen doch endlich die verhinderten schönen Seelen einsehen, dass die Welt nicht besser wird, wenn man sie mit geschlossenen Augen ansieht. Freilich gehört Mut dazu, die Welt so zu sehen, wie Sie es tun. Glauben Sie mir, dass ich Sie sehr schätze, sogar liebe.
    (Werner St., stud jur Halensee)
  • Wenn ich Ihnen schreibe, so geschieht es nur aus dem Impuls, Ihnen zu sagen, wie mich das bereichert, was ich Ihnen verdanke. Sie sollen wissen, was Sie vielen in diesen gar nicht hellen Tagen gegeben haben mit Ihrem „Fabian“. Das ist das Erbauungsbuch unserer Tage, in ihm sind wir alle mit unseren Schicksalen! Sie haben mich aufgerüttelt in diesem Buch, zum Nachdenken über mich, mein Leben im Dunkel unserer Zeit, man wird, nachdem man es erlebt hat, wieder gestrafft und kann mit einer Hoffnung weitergehen, es muss doch einmal wieder Licht und Wahrheit geben. Dass Sie Ihren Fabian in die Welt hinaussandten, war eine große Tat! Sie taten damit vielen viel Gutes und Ihre Freude kann groß sein. Sie haben vielen Ihrer Mitmenschen ein tiefes Erlebnis ermittelt. Ihr „Fabian“ wird unvergänglich jung bleiben und leben in uns, die Sie verstanden und erfühlt haben.
    (Hanns K., Krefeld)
  • Ich habe Ihren Fabian gelesen. Wieviel bewundernde Zuschriften werden Sie von klugen großen Leuten bekommen. Wer bin ich für Sie? Und doch muss ich Ihnen für dies Erlebnis danken. Sie haben mich sehend gemacht. Ich sah eine Welt der Wahrheit. Das Erlebnis traf mich doppelt tief als Mutter. (Martha Sch.)
  • In jeder Zeile spürt man, dass Sie es ernst meinen mit der Lebensform, die Sie in Fabian zum Ausdruck bringen und dass Sie mit allen Fasern der Großstadt verhaftet sind, die Sie trotz allem mutig bejahen. Und vor allem bewundere ich die saubere Gesinnung, die Sie einer Welt von Vorurteilen und Feinden gegenüber behaupten (Hans N., Essen)

Gegen „Fabian“:

  • Groteske und Satire sind gute Angriffswaffen, aber sie sind nicht immer und bei jeder Gelegenheit verwendbar. So kann die wehe Ironie eines Kästnerschen Gedichtes ans Herz greifen und aufrütteln , in Kästners Roman Fabian wirkt dagegen die gleich mäßig dosierte und gewissenhaft verteilte Ironie und Skepsis letzten Endes ermüdend. Hinzu kommt, dass das Bild unserer Zeit, wie es Fabian sieht, doch zu sehr an der Oberfläche haftet. Gewiss unser Dasein ist müde bitter und hoffnungslos; desillusionierter als je eine andere Generation, wehren wir uns aus Angst vor nochmaligen Enttäuschungen vor dem Leben und seinem tiefsten Geheimnis, wir sind Entwurzelte, aber wenn Kästner ein wirkliches, in Realität wie seelischem Erleben echtes Zeitbild geben wollte, dann hätte er nicht verschweigen dürfen, dass selbst heute noch in Berlin W hin und wieder Wunder zu geschehen vermögen. (M. Wagner)
  • Kästner hat einen Roman geschrieben: Fabian die Geschichte eines Moralisten. Als ehrlicher Freund seiner Gedichte erwartete ich ihn mit Spannung und bin enttäuscht. Um die Unmöglichkeit eines Menschen mit Herz mit Moral in heutiger Zeit zu beweisen wird die Unmoral in krassesten Formen aufgezeigt. Natürlich lässt sie sich nicht wegleugnen, und sie wird ja auch hier bloßgestellt, aber was erreicht der Dichter damit, wenn er den Leser in ein Bordell nach dem andern führt. Es liegt so etwas ungeheuer Trauriges und Deprimierendes über diesem Buch. Fabian mit seinem guten Herzen wird zum Einzelgänger in dieser Welt, er lässt sich treiben verliert seine Stellung. Man möchte ihm einen Ruck geben in seiner Energielosigkeit. Unsere Generation ist nicht so hoffnungslos wie Kästner sie sieht. Zu bewundern ist immer wieder seine nüchtern sachliche Art zu schreiben. Diese knappen treffenden Feststellungen, die aber im Gedicht doch noch wirksamer sind. (Joachim Langewiesche)
  • Ich führe einmal kühl und sachlich vor: Herr Erich Kästner bekannt durch seine Lyrikbände, die alles andere als Lyrikbände sind, hat Zeit. Da es draußen regnet, hat er nicht nur Zeit, sondern auch Langeweile, die ihn schließlich dazu treibt, einen Roman zu schreiben. Das Versmachen wird ihm auf die Dauer unangenehm. Bei solchen Massen kein Wunder. Am Abend selbigen Tags noch beendet er das Gerippe zu der denkwürdigen Geschichte des Moralisten Fabian.Das Fabian Gerippe:
    A: Fabian ist moralisch
    I Beweis: 10 20 Bordellversuche
    – a) 1 Bordell Betasten schwellender Brüste
    – b) 2 Bordell Gymnastik auf dem Tisch
    – c) Privatwohnung Leises Sättigungsgefühl
    – d) Im eigenen Haus nebenan Breites Bett
    – e)  Eigne Wohnung Girren Lachen Nackt „Es lebe der kleine Unterschied!“
    – f) Leichte Steigerung in der Spannung erreicht durch BadewanneII Etwas Moral in Form von
    – a) Herzaufwühlende Gespräche mit seinem Freund
    – b) Wird auf eine Weise, die dem Leser aus Literar-technischen Gründen verborgen bleiben muss, arbeitslosB Sanft traurige Weltenuntergangsstimmung
    Noch’n Schuß Moralin, Noch’n Stück Bordell, Noch ne Kiepe voll Bonmots. Punkt.

    In 2 3 Monaten fällt ein Buch auf, ausgestellt in allen besseren Buchhandlungen: Erich Kästner Fabian Geschichte eines Moralisten, Absatz: glänzend. Ich hatte einen lobenswert gesunden Schlaf. Selbst nach aufregenden Tagen schlief ich gut. Bis vor kurzem hätte ich schwören mögen, dass nichts mir diesen Schlaf rauben könnte. Heute denke ich anders Grund. Häufige Ekelanfälle (Hans Schwarze)