50 Jahre Geschichte in Liedern

Sammelaufruf des  Deutschen Volksliedarchivs

Michael Fischer und Frank Baier
Michael Fischer und Frank Baier

Ein halbes Jahrhundert Geschichte des Ruhrpotts in Liedern hat der Duisburger Liedermacher Frank Baier zusammen getragen. An diesem Wochenende war der Leiter des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg zu Besuch im Ruhrgebiet, um die Übernahme dieser einzigartigen Sammlung in die mehr als 100 Jahre alten Bestände des Archivs vorzubereiten.

Bis an die Decke vollgestopft mit Aktenordnern, VHS-Cassetten, CDs, LPs, MCs, Fotos, Plakaten, Flugblättern und Briefen ist das kleine Zechenhäuschen in der Homberger Rheinpreussen-Siedlung in dem Frank Baier seit den 1980er Jahren wohnt und arbeitet. Die außergewöhnliche Sammlung enthält zahlreiche „Kulturdokumente ersten Ranges“, so Michael Fischer, der Geschäftsführende Direktor des ZPKM (Zentrum für Populäre Kultur und Musik) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wie das 1914 gegründete Deutsche Volksliedarchiv mittlerweile heißt.

In Frank Baiers Archiv findet man Lieder der Bergleute, die nach Feierabend oder bei geselligen Anlässen gesungen wurden, ebenso wie Lieder von Stahlarbeiterstreiks. Zeitungsartikel, Fotos und Briefe erinnern an Auseinandersetzungen um den Erhalt ehemaliger Zechensiedlungen, an Konzerte in Gefängnissen mit Liedern, die durch den Austausch mit Jugendlichen in Fürsorgeeinrichtungen und Gefängnissen entstanden sind oder an gemeinsame Auftritte mit Wolf Biermann, Hannes Wader und „Ton-Steine-Scherben“ mit ihrem charismatischen Sänger Rio Reiser.

Lieder gegen Atomenergie

Ein besonderes Zeitdokument ist die 1978 erschienene LP „Bauer Maas – Lieder gegen Atomenergie“, aus deren Einnahmen der Landwirt Josef Maas einen großen Teil der Prozesskosten gegen den Bau des „Schnellen Brüters“ in Kalkar finanzieren konnte, zwei Jahre vor Gründung der späteren Umweltpartei „Die Grünen“. Zu den Künstlern, die kostenlos Titel für die LP zur Verfügung stellten, gehörten neben Frank Baier seinerzeit auch die österreichische Band „Die Schmetterlinge“ und Walter Mossmann.

1981 erschien ein ähnliches LP-Projekt: „Schöner Wohnen aber Fix“ enthielt neben Titeln von Frank Baier  auch  drei Lieder von „Geier Sturzflug“, die ein Jahr später mit „Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ einen Nummer-Eins-Hit in Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten und eine der erfolgreichsten Bands der „Neuen Deutschen Welle“ wurden. Auch aus den Verkaufserlösen dieses Albums wurden Anwaltskosten finanziert, diesesmal ging es um den Erhalt von billigem und sozialverträglichem Wohnraum.

Blick ins Archiv Frank Baier
Blick ins Archiv Frank Baier

Der Kampf um bessere Lebensbedingungen in Duisburg und gegen Umweltverschmutzung führte zur Gründung der „Bürgerinitiave Bruckhausen“, wo Frank Baier damals wohnte. Auch türkische Einwanderer der ersten Generationen wollten damals nicht mehr „vorm Abendbrot den Sand mit Besen und Kehrblech vom Tisch fegen“, wie es im Bruckhausenwalzer heisst. Mitte der 1980er Jahre veröffentliche Frank Baier folgerichtig eine LP mit deutsch-türkischen Liedern, gemeinsam mit dem türkischen Sänger und Sazspieler Mesut Cobancaoglu.

Zu zahlreich sind die Liedgeschichten in Frank Baiers Archiv um sie alle in einem Zeitungsartikel aufzuzählen: Es sind Zeugnisse einer über Jahrzehnte dauernden engen Verknüpfung von Kultur und politischen Engagement, die von Laien und Profis, Arbeitern und Hausfrauen, Schülern und Lehrern geschaffen und gelebt wurde.

Weitere Sammlungen gesucht

Michael Fischer, der gerne ein freies Wochenende geopfert hat, um 500 Kilometer von Freiburg nach Duisburg zurückzulegen, ist sichtlich beeindruckt und glücklich, eine solche Sammlung nach Freiburg holen zu können, damit Studenten, Wissenschaftler und Musiker aus der ganzen Welt darin stöbern und hierzu forschen können. Gesucht werden dazu  weitere Sammlungen von Liedsängerinnen und -sängern, Volksmusikanten und der Folk-Szene in Ost- und Westdeutschland, vom politischen und sozialkritischen Lied bis zum Schlager.

Interessenten, die entsprechendes Material haben, wenden sich bitte direkt an das ZPKM in Freiburg.

Adresse:

Zentrum für Populäre Kultur und Musik
Michael Fischer
Rosastraße 17-19
79098 Freiburg im Breisgau
Tel. 0761/7050315
michael.fischer@zpkm.uni-freiburg.de
www.zpkm.uni-freiburg.de